Liebe über den Grenzzaun

Im deutschen Fernsehen habe ich vor kurzem eine unglaubliche Geschichte über die Teilung von Städten an der Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland zur Zeit der Korona gesehen. Ich schrieb an meine tschechische Freundin Jaromira, die genau dort wohnt: “Ist es wirklich möglich, was ich gerade gesehen habe?” Ihre Antwort ist wahr und traurig, wir veröffentlichen sie vollständig.

Die Städte Konstanz (Deutschland) und Kreuzlingen (Schweiz) am Bodensee sind seit Jahrhunderten verbunden nicht zuletzt auch durch eine gemeinsame reiche Geschichte. Die Grenze geht mitten durch die beiden Städte, wobei Konstanz um einiges grösser ist als Kreuzlingen. Seit Jahrhunderten wird über die Grenze geliebt, geheiratet, gearbeitet und politisiert… das heißt, einfach gelebt.

Nur selten wurde die Grenze geschlossen. Z.B. im zweiten Weltkrieg haben die Schweizer ab 1942 die Grenze wegen dem starken Zulauf der Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich hermetisch abgeriegelt. „Das Boot ist voll“ war die damalige Devise. Trotzdem gab es Schweizer Zöllner, die jüdische Flüchtlinge durchgelassen haben.

In der letzten Zeit wurde die Grenze sehr durchlässig. Nur an den motorisierten Übergängen wurde wegen Warentransporten und deren Verzollungen kontrolliert. Seitdem die Schweiz dem Schengener Abkommen beigetreten ist, verschwanden alle noch vorhandenen Zäune an den Fahrrad- und Fußwegen und den kleinen Grenzübergängen. „Grenzenlos denken“ – das ist in der Bodenseeregion nicht nur ein schönes Motto, sondern auch eine Handlungsmaxime im Alltag. Konstanz und Kreuzlingen zeigen sehr gut im Alltag wie dies gelebt wird. Die beiden Grenzstädte ziehen seit Langem im Umweltschutz an einem Strang, beziehen ihre Gasversorgung aus denselben Leitungen und unterstützen sich gegenseitig bei der Wasserversorgung. Beide laden zu gemeinsamen vielfältigen Veranstaltungen in Kunst, Kultur, Sport und Politik ein. Im politischen Bereich begegnen sich die beiden Städte in der Grenzlandkonferenz. Mit ihr wurde die einzige institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Schweizer und deutschen Gemeinden entlang der Grenze etabliert. Es wird über die Grenze geliebt, geheiratet und Freundschaften gepflegt.

Seit dem der Schweizerfranken gegenüber dem Euro stark wurde, kommen hunderttausende Schweizer nach Konstanz zum Einkaufen, manche Geschäfte leben hier hauptsächlich von den Schweizer Kunden. Tausende Grenzgänger kommen täglich aus Konstanz in die Schweiz um zu arbeiten. Das Einkaufen gab es aber auch schon umgekehrt. Als die D-Mark gegenüber Franken stark war, haben die Konstanzer den Kaffee, die Nudeln und Zigaretten nur in der Schweiz gekauft. Auch wenn man schon mal wieder sich über die «Sauschwaben» oder «Kuhschweizer» lustig gemacht hat, hat ein gutes Zusammenleben und Symbiose immer über alle Reminiszenzen gesiegt. Das gute Zusammenleben beider Städte ist richtig in der sogenannten «Kunstgrenze» deutlich.Zwischen „Klein Venedig“ und dem See hat der international bekannte Künstler Johannes Dörflinger aus Konstanz 22 acht Meter hohe Skulpturen, die als Raumkunst seit 2007 den ehemaligen Grenzverlauf markieren. Kunst hat Grenzen geöffnet und hielt diese bis vor kurzem offen.

Die Coronakrise hat nun alles verändert. Deutschland hat die Grenzen gegenüber allen Nachbarn hermetisch geschlossen. Alle offenen Übergänge zwischen Konstanz und Kreuzlingen sind seit ein paar Wochen mit Zäunen versperrt und werden zum Teil bewacht. Auch die Kunstgrenze hat einen ca. 2 m hohen Zaun bekommen an dem sich die Familien, die Liebenden und Freunde trafen. Weil auch Waren über den Zaun ausgetauscht wurden, hat die Schweizer Grenzwache mit ca. 1,5 m Abstand auch einen Zaun gezogen. Gerade jetzt am Ostern konnte man sehr traurige Szenen an den Zäunen beobachten; ein Kind auf der Schweizer Seite mit einer Tafel an der stand « Papa ich habe dich lieb», der Vater auf der deutschen Seite. Tragisch sind aber auch Situationen, wenn z.B. pflegebedürftige Eltern in Konstanz wohnen und die Kinder in Kreuzlingen.

Die Bürgermeister beider Städte bemühen sich um Lösungen, leider bis dato ohne Erfolg. Der Zaun in Konstanz wurde von der deutschen Bundesbehörde aufgestellt und nur der Bund, also Berlin, ist für die internationalen Grenzübertritte zuständig. Auch bereits das Land BW bemüht sich um geregelte Ausnahmen, vorläufig ist aber nur ein Wirrwarr an der Grenze. Sogar NY-Times hat darüber bereits einen Artikel geschrieben. Inzwischen ist eine Initiative von Paaren und Familien auf beiden Seiten laut geworden, die Lösungen für besonders hart getroffene Fälle verlangt. Wir alle auf beiden Seiten hoffen auf Zeiten, wenn die Grenzzäune wieder zu Museumsstücken geworden sind.

Vielen Dank für Text und Fotos an Dr. phil. Jaromira Kirstein aus Kreuzlingen.

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